Laryngo-Rhino-Otol 2016; 95: S38-S87
DOI: 10.1055/s-0041-109590
Hintergrund: Die erste wissenschaftlich hochwertige Studie zur Indikationsstellung der Tonsillektomie wurde von Jack L. Paradise geleitet und 1984 (TE) publiziert. Ziel dieser systematischen Literaturrecherche war es, anhand einer standardisierten Suchstrategie Publikationen zusammenzustellen, die sich nach 1984 mit den Operationsindikationen der TE auseinandersetzten. Methoden: berücksichtigt wurden ausschließlich systematische Reviews, Metaanalysen, Leitlinien sowie Publikationen zu Evidenz-basierten Operationsindikationen der TE. Zunächst wurde in der Medline-Datenbank mit dem Suchwort „tonsillectomy" in Kombination mit den Filtern „Systematic Reviews" sowie „Meta-Analysis", „English", „German" und „from 1984/01/01 to 2015/05/31" recherchiert. In der „Cochrane Database of Systematic Reviews", im Register des „National Guideline Clearinghouse", bei dem „Guidelines International Network" und „BMJ Clinical Evidence" wurde ausschließlich das Suchwort „tonsillectomy" verwendet. Schließlich wurde bei „Trip Database" eine Recherche mit den Suchwörtern „tonsillectomy" und „indication" sowie den Filtern „from: 1984 to: 2015" entweder mit „systematic review" oder „metaanalysis" oder „meta-analysis" vorgenommen. Ergebnisse: Von 237 Treffern bei der Literaturrecherche entsprachen 57 Artikel den Suchkriterien und konnten den Themengebieten Peritonsillarabszess (3), Psoriasis (3), Leitlinien (5), Paukenerguss (5), Evidenz-basierte Indikationen (5), PFAPA-Syndrom (6), Nierenerkrankungen (7), Schlaf-bezogene Atmungsstörungen (11) und Tonsillitis/Pharyngitis (12) zugeordnet werden. Schlussfolgerungen: Die Übersichtsarbeiten der letzten 31 Jahre zu Indikationen der TE setzten sich mit 7 Krankheitsbildern auseinander: 1) Im Fall des Paukenergusses darf davon ausgegangen werden, dass die TE nicht gerechtfertigt ist und auch kein weiterer Forschungsbedarf dazu besteht. 2) beim PFAPA-Syndrom erscheinen die Operationsrisiken der TE angesichts der möglichen Alternativtherapie in Form von Steroidgaben sowie der wahrscheinlichen Spontanheilung kaum vertretbar. 3) Die Abszess-TE zur Behandlung eines Peritonsillarabszesses ist nur noch in therapierefraktären Fällen, eingetretenen Komplikationen, anamnestisch häufigen Tonsillitiden sowie ausgesuchten Einzelfällen vorbehalten, nicht aber als Routineverfahren. Für die Intervall-TE als Routineverfahren gibt es keine wissenschaftliche Grundlage. 4) Die TE in Form der Adenotonsillektomie zur Therapie von kindlichen Schlaf-bezogenen Atmungsstörungen wegen einer adenotonsillären Hyperplasie gilt als unstrittige Operationsindikation. Der Umgang mit Komorbiditäten wie Adipositas erfordert weitere klinische Forschung, da hierdurch der Operationserfolg erheblich reduziert wird. Der initial gleichwertige Effekt der weniger invasiven Tonsillotomie geht tendenziell im Langzeitverlauf verloren, hier muss an validen Selektionskriterien gearbeitet werden. 5) Die Hinweise auf einen positiven Effekt der TE auf die Psoriasis guttata bei Kindern sowie der therapierefraktären Psoriasis vulgaris bei Erwachsenen lassen sich nicht verneinen, hier besteht aber weiterhin klinisch-wissenschaftlicher Forschungsbedarf. 6) Inwieweit der TE eine Bedeutung im Behandlungskonzept der Ig-A Nephropathie zukommt, muss ebenfalls durch weitere Studien geklärt werden. 7) Sofern die TE auf eine Beseitigung der Gruppe A beta-hämolysierende Streptokokken abzielt, steht sie in Konkurrenz zur Antibiotikumtherapie, aber auch einer nicht zu vernachlässigenden Spontanheilungsrate. Ob die TE bei schweren Verlaufsformen von Tonsillitiden, gemessen an der Zahl von Halsschmerz-Episoden, der konservativen Therapie nachhaltig überlegen ist, muss die dringend angezeigte klinisch-wissenschaftliche Forschung noch nachweisen. Hierbei muss auch die Frage beantwortet werden, inwieweit Unterschiede zwischen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen bestehen.
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